Im Sudan kämpfen zwei Generäle darum, wer das Volk ausbeuten darf
Gastbeitrag
Der Sudan brennt: Hunderte Tote binnen weniger Tage, Angriffe auf dicht besiedelte Gebiete ohne Rücksicht auf Zivilisten, auf Krankenhäuser und sogar auf Fahrzeuge, die Verwundete und Kranke transportieren. Die gewaltige Eskalation des Konflikts im Sudan zwischen ehemals im Putsch verbündeten Generälen, die sich jeweils die Vorherrschaft sichern wollen, ist ein Alptraum. Die Eruption kam plötzlich, aber der Konflikt hatte sich in vergangenen Wochen bereits angebahnt.
Die Vergangenheit war geprägt von gewaltsamen Konflikten zwischen dem islamisch-arabisch geprägten Norden und dem christlich geprägten Süden. 1989 putschte sich der Diktator Umar al-Baschir an die Macht. Mit Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten regierte er das Land islamisch-fundamentalistisch mit harter Hand. Al-Bashir ist inzwischen beim Internationalen Strafgerichtshof wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
Auch in der westsudanesischen Darfur-Region gab und gibt es immer wieder gewaltsame separatistische Bestrebungen. In Darfur leben inzwischen 1,5 Millionen Menschen als Flüchtlinge in 60 Lagern. In Westdarfur ist parallel zu den aktuellen Kämpfen in der Hauptstadt ein ethnischer Konflikt zwischen afrikanisch- und arabischstämmigen Gruppen entbrannt.
2019 stürzten Mohammed Hamdan Daglo genannt Hemeti, Anführer der paramilitärischen „Rapid Support Forces“ RSF, und der Generalinspekteur des sudanesischen Militärs, General Abdel Fattah al-Burhan, den Diktator al-Bashir. Al-Burhan übernahm die Regierung, Hemeti wurde zu al-Burhans Stellvertreter im gemeinsamen Übergangsrat aus zivilen und militärischen Kräften. 2021 sollte die Macht turnusgemäß an die zivilen Kräfte übergehen – das verhinderten Hemeti und al-Burhan mit einem weiteren Militärcoup gegen den zivilen Premierminister.
Al-Burhan kündigte auf Druck vieler Länder erneut an, eine zivile Regierung aus gewählten Vertretern zu ermöglichen. Hemetis RSF sollte dann in das al-Burhan unterstehende sudanesische Militär integriert werden. Daraus entbrannte der verbitterte Machtkampf zwischen den Generälen, der sich seit 15. April vor allem in der Hauptstadt Khartum entlädt. Nur Dank enger Kooperation zwischen den westlichen Ländern und dank dem entschlossenen, kompetenten Eingreifen der Einsatzkräfte konnten tausende Entwicklungshelfer und Diplomaten aus dem Sudan evakuiert werden.
Diese enge Kooperation und das entschlossene Handeln müssen in demselben Maße fortgeführt werden, wenn wir weiteren Eskalationen und einem wachsenden Einfluss Russlands in der Region etwas entgegensetzen wollen. Denn eines ist klar: wäre sich die RSF-Miliz nicht der Unterstützung Russlands sicher gewesen, hätte sie sich nicht auf die militärische Auseinandersetzung eingelassen. Es gibt zwar keine Belege, dass russische Wagner-Söldner an den Kämpfen im Sudan beteiligt sind. Waffenlieferungen von Wagner an die RSF unter anderem von Flugabwehrraketen sind aber bestätigt.
Im Sudan spielt Russland das gleiche Spiel wie in vielen anderen afrikanischen Staaten: Bodenschätze gegen Sicherheit. Sudan ist das drittgrößte Gold-Förderland des afrikanischen Kontinents. 2022 gab es Berichte, dass Russland riesige Mengen Gold aus dem Sudan fliegt. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin soll den Export über seine Söldner geschützt und über eine sudanesische Firma, die einem russischen Unternehmen gehört, organisiert haben.
Davon abgesehen hat Russland auch klar geostrategische Ziele: Moskau plant, in der Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer einen Marinestützpunkt zu errichten. Die geostrategischen Pläne Russlands äußern sich auch in anderen Ländern des Kontinents wie Mali, Tschad und Zentralafrika, wo die Wagner-Gruppe Regierungsumstürze und regionale Konflikte befeuert. Offensichtlich versucht die Wagner-Gruppe im Auftrag Putins, ein Bündnis anti-westlicher Staaten in Afrika aufzubauen. Erst kürzlich sagte Prigoschin offen, es gehe ihm um eine „eine Befreiung des afrikanischen Kontinents von westlichen Besatzern“. Das Ansinnen dabei liegt auf der Hand: Russland will neben materiellen und geostrategischen Zielen Unfrieden in der Region stiften, um Kräfte des Westens auch auf dem afrikanischen Kontinent und durch Flüchtlingsströme zu binden und ihr Engagement in der Ukraine zu schwächen.
Den Erfolg Russlands und auch Chinas, in zahlreichen afrikanischen Ländern Fuß zu fassen, hat Europa in Teilen selbst zu verantworten. Zu zögerlich, zu bürokratisch, zu paternalistisch belehrend kamen die Kooperationsbemühungen oft daher. Das ließ eine unkomplizierte Zusammenarbeit mit Russland oder China, die schnelle Erfolge verspricht, oftmals attraktiver erscheinen.
Welche Chancen haben Deutschland und Europa heute noch auf dem viel berufenen „Chancenkontinent“? Im Sudan hat Deutschland wie in anderen afrikanischen Ländern das „window of opportunity“ verpasst, die Demokratiebewegung auf der Straße und vor allem die zivilen Teile der Übergangsregierung stärker zu unterstützen. Die zivile Regierung ist gescheitert, weil sie zu wenig Erfahrung, zu wenig Ausbildung in demokratischen Strukturen und Prozessen hatte und sich nicht gegen die Militärs durchsetzen konnte.
Deutschland und Europa jedoch haben die zivilen Mittel, jetzt eine neue Generation aufzubauen. Eine Generation von Bürgern, Politikern, Zivilgesellschaft, die selbstbewusst demokratische und freiheitliche Reformen vertritt und die Fähigkeit hat, diese auch umzusetzen. Dafür muss Deutschland jedoch sein Engagement in Afrika massiv ausweiten - sowohl entwicklungspolitisch als auch ökonomisch. Eine gut ausgebildete Bevölkerung mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zukunftsperspektiven ist deutlich weniger anfällig für Konflikte.
Deutsche Unternehmen brauchen mehr Mut, aber auch mehr politische Unterstützung, Standorte in Afrika auf- und auszubauen. Im besten Fall entsteht dadurch die Win-Win-Situation, dass durch neue Arbeitsplätze Fortschritte bei der Armutsbekämpfung erreicht werden und gleichzeitig Zugang zu Erneuerbaren Energien und Rohstoffen möglich wird. Denn Deutschland muss sich in Zeiten von Energie- und Rohstoffknappheit ehrlich machen: was sind unsere Interessen und mit wem möchten wir diese Interessen umsetzen? Dafür brauchen wir auch eine Zeitenwende in der Entwicklungszusammenarbeit. Entwicklungspolitik muss strategisch künftig mehr mit Wirtschaftspolitik und Geopolitik zusammengedacht werden – Stichwort Friendshoring.
Damit entstehen automatisch Prioritäten, die beispielsweise ein stärkeres Engagement im Sudan zur Folge haben können. Für das bitterarme Land mit seinen zahlreichen Konflikten, massiven wirtschaftlichen Problemen und einer unsicheren Ernährungslage wäre das ein wichtiger Schritt. Als erstes müssen die Großmächte aber Druck auf die Konfliktparteien ausüben, Friedensverhandlungen zu führen. Denn die Alternative zu den seit Jahrzehnten andauernden Machtkämpfen zwischen militärischen Gruppierungen kann nur sein: Wahlen, Demokratie und eine Armee in Kasernen anstatt in der Regierung.
Parallel dazu müssen deutsche und europäische Wirtschafts- und Entwicklungskooperationen mit Bildung und Arbeitsplätzen dafür sorgen, dass der Reichtum des Landes mit seinen zahlreichen Bodenschätzen fairer verteilt wird. Wenn ein Regime nicht zukunftsfähig und bilaterale Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist, ist die Schaffung von Studienplätzen und Ausbildungsmöglichkeiten das Mittel der Wahl. Das befähigt die Menschen, das Land nach einem möglichen Regime Change aufzubauen. Mein Plädoyer für die Zukunft des Sudans: Studienplätze auch in Deutschland schaffen für eine neue Generation und für politische Bildung sorgen, damit eine Zivilregierung das nächste Mal die Kraft hat, sich gegen machthungrige Militärs durchzusetzen.